Am 6. März 2024 wäre Fritz Westendorf 100 Jahre alt geworden.
Thomas Blendermann, Heinz Effmert und Gerold Brüntjen kommen in ihrer Hochrechnung auf weit über hundert historische Motorrad-Oldtimer, die Fritz Westendorf in seiner Rentenzeit instandsetzte. In der Oldtimerszene ist und bleibt er gewiss kein Unbekannter.
Bis zu seinem 90. Lebensjahr besaß Fritz, genannt Fiet, eine umfangreiche Privatsammlung von Triumph bzw. TWN Motorrädern, die er in der kleinen Zweiradwerkstatt auf seiner Hofstelle am Viehdamm in Edewecht - Portsloge selbst bis auf das kleinste Detail restaurierte.
Ein Rückblick
Am 6. März 1924 wurde Fritz Westendorf auf der elterlichen Pachtstelle am Rudenbrook in Klein Scharrel geboren. Für Vater Friedrich, in der Gemeinde als Hofschlachter bekannt, ergab sich in den späten 1930er Jahren die Möglichkeit, eine frei gewordene Stelle bei der Hausverwaltung im Edewechter „Armenhaus“ (heute Alten- und Pflegeheim) zu übernehmen. Familie Westendorf zog kurzerhand vom Rudenbrook in die Hausmeisterwohnung. Hier übernahm sie bereits ein Jahr später die Leitung des Armenhauses, damals noch eine sich selbst versorgende Einrichtung.
Edewechter Altenwohnheim in den 60er Jahren
1938 begann Fritz Westendorf seine Ausbildung bei „Jan Opel“ (Johann Eilers) an der Hauptstraße 67 in Edewecht (heute u. a. Eilers Bauelemente und TUM). Eilers und Sohn Hans betrieben eine Zweiradwerkstatt mit Tankstelle und waren Vertragshändler von verschiedenen Fahrrad- und Motorradmarken, u.a. Opel und später Triumph (TWN: Triumph Werke Nürnberg)
Betrieb Johann Eilers „Jan Opel“ genannt und Hans Eilers (Sohn)
Original Werbeprospekt Triumph Motorrad
Hinweis:
Von 1928 bis 1945 konnten Motorfahrräder und Kleinkrafträder bis 200ccm führerschein- und steuerfrei gefahren werden.
Zu Fuß quer durch Europa – Ein Leben auf der Flucht.
Seine Ausbildung im heimischen Edewecht war gerade abgeschossen, da wurde der junge Fritz, wie sein Vater schon einige Zeit zuvor, von der Wehrmacht erfasst und eingezogen.
1942: Fritz als Soldat auf Heimaturlaub
Als junger Soldat erlebte er den 2. Weltkrieg als Martyrium. Bis 1944 war er als Flakhelfer auf der griechischen Insel Kreta stationiert. Als der Rückzug der Wehrmacht einsetzte, ging es über das Mittelmeer zurück nach Piräus. Von hier aus schlug sich Fritz mit seinen ebenfalls noch sehr jungen Kameraden über Albanien bis in die damalige Ostmark (Österreich) durch.
Die Erlebnisse aus dieser Zeit mit der ständigen Flucht vor den Partisanen haben Fritz nie losgelassen. Oft erzählte er von den Kinderliedern, die sich die verängstigten Kameraden zur Ermutigung in ihren Verstecken untereinander vorsangen. Auch die langen Winter und das Ausharren in Nachtquartieren in der Wildnis des Balkans blieben unvergessen. 1945 über Umwege endlich angekommen in Kärnten, nahm die britische Feldarmee den bereits dezimierten Tross in Gefangenschaft. Trotz schwieriger Lagerverhältnisse und der vielen Krankheiten war man sich hier des Lebens einigermaßen sicher. Fritz überlebte die lange Tortur und kehrte 1947 nach Edewecht zurück.
Derweil organisierte Mutter Marie die Geschicke des Edewechter Armenhauses mit unermüdlichem Einsatz. Dabei musste sie während des Krieges auch die eigene Hofstelle auf der gegenüberliegenden Straßenseite ganz allein versorgen. Heutzutage sind all diese Umstände und Strapazen kaum mehr vorstellbar. Marie Westendorf bekam später für ihr Wirken das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen.
Verleihung Bundesverdienstkreuz
Zurück in die Heimat
Nach teilweiser Verarbeitung der traumatischen Erlebnisse überzeugte Hans Eilers Ende der 1940er Jahre den jungen Gesellen Fritz zur Rückkehr in die Werkstatt an der Edewechter Hauptstraße. Als stets hilfsbereiter und versierter Mechaniker und Tankwart hatte sich Fritz als Spezialist für Reparaturen an Zweirädern schnell einen Namen gemacht. Er hielt die Gemeinde in allen Belangen um deren Fahrzeuge mobil. Tankvorgänge und kleine Reparaturen wurden zu der Zeit noch direkt an der Hauptstraße durchgeführt. Natürlich nicht ohne einen kleinen Klönschnack.
Fritz (links im Bild) und Kollegen vor der Werkstatt an der Hauptstraße
Mit einem „Dor schass wol ersmol weer mit hinkomm“ ging die Fahrt für viele Edewechter zufrieden weiter. Im Laufe der Fünfzigerjahre kamen immer mehr PKW auf den Markt. Mit einem Kleinwagen (Goggo, Lloyd, Käfer und Co.) war der Weg frei zu mehr Mobilität und mit „einem Dach über dem Kopf“ konnte man jetzt auch bei schlechtem Wetter seinen Weg zur Arbeit ohne durchnässte Kleidung antreten.
Die Nachfrage nach Motorrädern sank Anfang der 60er Jahren schlagartig. Fritz Westendorf und seine Kollegen Willy Frerichs und Rolf Meinardus mussten durch den plötzlichen Überfluss an Motorrädern diese regelrecht zerlegen, um sie dann vom Altmetallhändler abholen zu lassen. Auch fast neuwertige Zweiräder waren dabei.
Neue Arbeitsstelle am Fliegerhorst
Fritz nahm eine neue Anstellung als Mechaniker für Flugzeugmotorentechnik am Oldenburger Fliegerhorst an. Hier wurden u. a. Turbinenantriebe für die Luftwaffe instandgesetzt. Er bekam, wohl wegen seiner technisch versierten Begabung, nun auch Sonderaufgaben zugeteilt und war an der Restaurierung von Flugzeugmotoren für inländische Museen beteiligt.
Auch in seiner Freizeit rückte das Restaurieren von Motorädern und Motoren immer mehr in seinen Lebensmittelpunkt. Fritz erkannte relativ früh den Wert des „technischen Kulturgutes“ von Motorrädern und Motoren.
Fritz während einer Restaurierung
von Fritz restauriert: TWN BDG 125 L Baujahr 1955
In den frühen 80er Jahren fing das allgemeine Interesse an Oldtimerfahrzeugen gerade erst an. Von einer Oldtimerszene konnte man da noch nicht sprechen. Aufgrund seines besonders fundierten Fachwissens wurde Fritz schnell ein gefragter Experte in der Motorradszene. Selten stand das Telefon still, um Fragen nach einer korrekten Einstellung am Motor, Getriebe oder etwa nach fehlenden Ersatzteilen für die Elektrik zu beantworten. Wenn auch er nicht weiter wusste, dann kam zu Abschluss öfter mal der Hinweis: „Schass wol noch een Deel in Bockhorn finn…“
Durch seinen hohen Anspruch bei der Ausführung seiner Restaurierungsarbeiten sind ganz nebenbei unsterbliche Zeitzeugen der deutschen Zweiradgeschichte aus den 1910er – 60er Jahre entstanden. Diese sind heutzutage in einigen Museen zu bewundern, aber auch auf vielen Oldtimerveranstaltungen anzutreffen. Ebenso hoch zu bewerten sind die vielen Motoren und Getriebe von alten Krafträdern, die er mit seinem fachmännischen Verstand für Oldtimerfreunde aus ganz Deutschland und z. T. aus Europa in einen Neuzustand versetzte.
Wer die Erlebnisse aus seinen Kriegstagen kennt, der ist sich sicher: Bei der ungewöhnlich hohen Vielzahl an Restaurationen hat Fritz Westendorf wohl einen Teil seines Martyriums verarbeiten können.
Im Alter von 90 Jahren trennte sich Fritz schweren Herzens von seiner Sammlung.
Sein vermeintlich letztes Projekt, welches schon lange auf seinem Dachboden schlummerte, hatte Fritz etwas aus den Augen verloren: Ein heute eher seltenes Triumph Herrenfahrrad der Serie N.
Werbungprospekt „Serie N, Das solide Herrenrad“
Im Frühjahr 1939 kaufte dieses Fahrrad Vater Friedrich „ladenneu“ bei Johann Eilers, wo sich zu dieser Zeit sein Sohn Fritz im ersten Lehrjahr befand. 2020 wurde das alte Familienrad von Bekannten fertig restauriert. Freudestrahlend führte Fritz sofort eine augenscheinliche Abnahme durch, natürlich nicht ohne dabei anzumerken, was 1939 zur damals neuen Sonderausführung dazugehört hatte.
Links im Bild: Das fertig restaurierte Familienrad heute. Rechts: Eine Triumph KV 200, Baujahr 1931 (Restauration um 1980)
Am 24. September 2023 verstarb Fritz im Alter von 99 Jahren in dem früher von seinen Eltern geführten Seniorenheim in Edewecht - Portsloge, direkt gegenüber zu seinem Anwesen mit der Werkstatt. Was der selbstlose Techniker in seinem arbeitsreichen und stets bescheiden geführten Leben erreichte, wird nicht nur auf zwei Rädern noch lange Spuren hinterlassen.
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