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Flucht und Vertreibung zum Ende des 2. Weltkriegs – Oder: Wie Edewecht zu 2000 neuen Einwohnern kam

  • Autorenbild: Heimatarchiv Team
    Heimatarchiv Team
  • 17. Okt.
  • 5 Min. Lesezeit

Zum Ende des Zweiten Weltkriegs und in der unmittelbaren Nachkriegszeit mussten Millionen von Menschen ihre Heimat verlassen. Auf der Flucht vor der sowjetischen Roten Armee oder aufgrund der Vertreibung aus den östlichen Reichsgebieten.


Was bedeutete dieser Flüchtlingsstrom Richtung Westen für die Gemeinde Edewecht? Diese Frage stellten wir uns vom Heimatarchiv schon seit längerem.


Wieviel Menschen kamen zwischen 1945 und 1950 als Flüchtlinge oder Heimatvertriebene in Edewecht an? Aus welchen Städten und Regionen stammten sie? Wo kamen sie in der Gemeinde Edewecht unter?


Im Herbst 2023 startete unser Projekt zur Beantwortung dieser Fragen mit der manuellen Auswertung der im Rathaus lagernden Einwohnermeldekarten. Aus der enormen Anzahl an Meldekarten wurden in tagelanger Arbeit über 1000 Datensätze generiert, die u.a. folgende Informationen beinhalten:


  • Familienname und Vornamen mit Anzahl der ankommenden Personen

  • Aus welchem Ort bzw. welcher Region stammen die Ankommenden

  • Datum der Ankunft bzw. Anmeldung in der Gemeinde Edewecht

  • Neuer Wohnort und neuer Haushalt, in dem sie aufgenommen wurden



Auf Grundlage dieser Daten haben wir Auswertungen erstellt, in denen wir die Herkunft der geflüchteten Familien sowie die Unterbringung in der Gemeinde Edewecht detailliert darstellen. Weiterhin haben wir Interviews mit fünf Zeitzeuginnen geführt, die uns deren Flucht und Ankunft mit unterschiedlichsten Erfahrungen geschildert haben.


In der folgenden mehrteiligen Serie stellen wir, ausgehend von der globalen Situation zum Ende des Zweiten Weltkriegs in den Ostgebieten, über die Lage in dem stark zerstörten Edewecht direkt nach dem Krieg bis zur Aufnahme und Integration von geflüchteten Personen dar, wie es der Gemeinde Edewecht im Zeitraum von 1945 bis 1950 gelungen ist, über 2000 geflüchtete Menschen aufzunehmen. Immerhin mehr als 25% der Einwohnerzahl Edewechts im Jahr 1939.


Abgerundet wird die Serie mit den Berichten der Zeitzeuginnen und der Darstellung derer Einzelschicksale.



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Auf dieser Karte stellen wir dar, aus welchen deutschen Ostgebieten die Einwohner ab 1945 systematisch vertrieben wurden. Auf der Abbildung kann man sehr gut erkennen, welch lange Reisen die Flüchtlinge bei ihrer Ankunft in Edewecht hinter sich hatten. Die Zahl an den Pfeilen gibt an, wieviel Personen aus welchen Gebieten nach Edewecht gekommen sind. Dargestellt sind hier aufgrund der Übersichtlichkeit lediglich die Haupt-Herkunftsgebiete. Tiefergehende Erkenntnisse kann man den folgenden Auswertungen entnehmen.




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Diagramm 1: Die Gemeinde Edewecht hat zwischen 1945 und 1950 schwerpunktmäßig Heimatvertriebene aus den Regionen Schlesien, Ost- und Westpreußen und Pommern aufgenommen. Aber es sind auch diverse andere Herkunftsregionen zu erkennen.





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Diagramm 2: Die Unterbringung der ankommenden Flüchtlingen erfolgte dezentral in viele  Haushalte der gesamten Gemeinde Edewecht. Dabei ist zu bedenken, dass Edewecht aufgrund der Kriegshandlungen in den letzten Monaten des 2. Weltkrieges insbesondere im Bereich Oster- und Westerscheps sowie im Hauptort stark zerstört war. Trotzdem wurden auch in diesen Ortsteilen diverse Flüchtlinge untergebracht. Die hohe Anzahl an aufgenommenen Personen in Husbäke ist folgendermaßen zu erklären: Im Jahr 1946 wurden in den großen Gebäuden der ehemaligen „Volkshochschule“ im Obergeschoss ein Behelfskrankenhaus und im Untergeschoss ein Altersheim eingerichtet. Bei der Auswertung der Daten war klar zu erkennen, dass dort insbesondere ältere Menschen untergebracht wurden.





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Diagramm 3: Die Auswertung der Daten nach Berufen der ankommenden Flüchtlinge lässt klar erkennen, dass viele der Gebiete landwirtschaftlich geprägt waren. Die meisten der Heimatvertriebenen zuvor entsprechend tätig. Gut zu erkennen war, dass die Schlachter und Fleischer überwiegend in den fleischverarbeitenden Betrieben in Edewecht eine Anstellung gefunden haben.




Der 2. Weltkrieg: Die allgemeine Lage im Frühjahr 1945 und der Endkampf am Küstenkanal

 

Kurz vor dem Ende des 2. Weltkriegs (8. Mai 1945) gab es an den Fronten des zusammenbrechenden Deutschen Reichs teils erbitterte Kämpfe zwischen bereits völlig erschöpften deutschen Armeeverbänden im Osten, wo die Rote Armee immer weiter Richtung Berlin vordrang, und den alliierten Truppen, die nach der erfolgreichen Invasion in der Normandie im Juni 1944 nun, im Frühjahr 1945,  große Geländegewinne im Westen erzielen konnten. Im März 1945 lag die deutsche Luftverteidigung bereits komplett am Boden, das Reichsgebiet war zu diesem Zeitpunkt keinen Tag und keine Nacht feindfrei.


Wie stellte sich die Situation im Raum Edewecht in diesen Tagen dar? Die 4. Canadian Armoured Division hatte Anfang April den Kampf um Friesoythe siegreich beendet, die Stadt glich einem Trümmerhaufen. Die kanadischen Truppen, hier die 10. Canadian Infantry Brigade, standen nach wenigen Tagen am Küstenkanal, den sie am 10. April erreichten. Diese Brigade erreichte am 16. April der Befehl zur Bildung eines Brückenkopfes. Als einzige erfolgversprechende Möglichkeit kam nur der Küstenkanal in der Höhe Edewechterdamm in Frage, von wo aus weiter nach Bad Zwischenahn vorgegangen werden sollte, um von dort aus einen Angriff auf Oldenburg vorzunehmen. Auf der östlichen Seite des Kanals lag ein deutsches Marine-Regiment im Abschnitt der 7. Fallschirmjäger-Division. Der Küstenkanal war von der deutschen Führung zur „äußeren Verteidigungslinie vor der Festung Wilhelmshaven“ erklärt und mit kampfstarken Verbänden der Wehrmacht besetzt worden.


Am 17. April um 1:00 Uhr erfolgte die Überquerung des Küstenkanals durch das kanadische Algonquin-Regiment in Sturmbooten in der Nähe der zerstörten Kanalbrücke. Dort wurde ein erster Brückenkopf errichtet. Das Artilleriefeuer hatte die Querung des Kanals zunächst erleichtert und den Deutschen in der Abwehrstellung auf östlicher Kanalseite schwere Verluste beigebracht, doch dann erfolgten massive deutsche Gegenangriffe, die den kanadischen Brückenkopf gefährdeten. Nachdem die Kanadier allerdings Verstärkung angefordert und erhalten hatten, konnte die Stellung am östlichen Ufer des Kanals gehalten werden.


Bei dieser Aktion kamen 76 deutsche Soldaten ums Leben, die Kanadier zählten elf Tote, 19 Vermisste und 39 Verwundete. Am 18. April gab es weitere Angriffe von deutscher Seite auf den Brückenkopf, die allerdings erfolglos blieben, sodass die „Algonquin-Brücke“ am 19. April fertig war. Der erste Panzer fuhr um 8:00 Uhr. Am 21. April wurde der Brückenkopf bis zur Aue in Osterscheps erweitert. Während des insgesamt 17 Tage andauernden Endkampfes am Brückenkopf Edewechterdamm verloren über 400 deutsche Soldaten (manche gerade einmal wenige Wochen Soldat und blutjung) ihr Leben, annähernd 300 kanadische Soldaten fielen ebenfalls.


Am 24. April erlebte der neue Regimentskommandeur der Algonquins, Oberstleutnant  Akehurst, das Eindringen seiner Truppen in Edewecht, am 25. April war Edewecht vollständig in kanadischer Hand.


Wenige Tage zuvor war in Edewecht noch von geschäftigem Treiben zu sprechen, viele Einwohner kauften angesichts der näher rückenden Front Vorräte ein. Als dann das Kampfgeschehen direkt im Ort stattfand, musste mancher erkennen, dass nur wenig in Rucksäcken oder Taschen ins Moor mitgenommen werden konnte, dorthin nämlich, wo man Schutz vor den feindlichen Fliegern erhoffte. Manch ein Einwohner, der gerade erst aus den deutschen Ostgebieten geflohen war und im damaligen HJ-Heim (später Berufsschule und Klassenraum der neuen Realschule) Unterschlupf gefunden hatte, flüchtete bei Angriffen in den Keller des Mühlen-Gasthofs von Gerhard Frerichs (später Heinrich Fittje).

 

In diesen Apriltagen des Jahres 1945 ist Edewecht schwer von den Kriegshandlungen gekennzeichnet. Neben der Mühle von Joosten, die in einem Bombenhagel alliierter Jagdbomber schwere Treffer erhält, wird auch der hölzerne Glockenturm der Nikolaikirche vom Feuer vernichtet. Insgesamt waren die Kriegsschäden erheblich, Edewecht war in weiten Teilen verwüstet, in der Bauerschaft Osterscheps waren von 126 Gebäuden allein 79 total zerstört.

 

In diesen vom Krieg stark in Mitleidenschaft gezogenen Ort gelangten nun verstärkt ab 1945 zahlreiche Flüchtlinge und Heimatvertriebene aus dem Osten, die trotz dieser problematischen Rahmenbedingungen eine neue Heimat im Ammerland fanden.

 

 


Quellen:

Wegmann G (2000) Das Kriegsende zwischen Weser und Ems 1945. 2. Auflage, Bültmann & Gerriets, Osnabrück, H. Th. Wenner

 

Harms H (1997) Vom „Heil!“ zum Unheil. Das Ammerland 1945/46, Chaos und Neuanfang. 3. Auflage, Plois, Westerstede

 



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