Als Adolf Brand 1965 im Alter von 96 Jahren starb, war er der älteste der nordwestdeutschen Prediger. Er erlebte noch den missionarischen Geist des methodistischen „Ostfriesenapostels“ Franz Klüsner, der einmal sein Schwiegervater werden würde.
Adolf Brand
Als Kind stand Adolf Brand unter dem Einfluss eines gläubigen Elternhauses; der Vater war Leiter der Oldenburger Brüdergemeine. Seine Mutter schloss sich früh der Oldenburger Methodistengemeinde an. Adolfs Vater zog aus dem Lippischen nach Oldenburg, um Arbeit zu finden. Adolfs Mutter war eine Handwerkertochter aus Oldenburg. Er wuchs mit sechs Geschwistern auf. Adolf besuchte ab dem 5. Lebensjahr regelmäßig die Sonntagsschule in Oldenburg. Später, als die Oldenburger Brüdergemeine sich auflöste, schloss sich die Familie Brand der dortigen Methodistengemeinde an.
Eigentlich wollte Adolf kein Prediger werden. Er konnte sich eine Anstellung in einem Rechtsanwaltsbüro oder in einer Bank gut vorstellen. Eine angefangene Ausbildung musste er abbrechen, weil seine Sehkraft zu stark eingeschränkt war. Mit 15 Jahren entschied er, sich vollzeitlich der Kirche zur Verfügung zu stellen. Anfangs war er Sonntagsschullehrer. Die Gemeinde in Oldenburg gab ihm mit 19 Jahren eine Lizenz zum Predigen. So lernte er die Predigtstationen des Oldenburger Bezirks und der umliegenden Gemeinden kennen. Zudem engagierte er sich in der Schriftenmission und in der Arbeit unter Alkoholabhängigen. Das vorgeschriebene Praktikum erfüllte er auf den Bezirken in Ostfriesland und in Hamburg. Dort, in Hamburg, erlebte er den Anfang einer großen Cholera-Epidemie, an der über 8600 Menschen starben.
Nach dem Theologiestudium in Frankfurt am Main bekam er zunächst eine Gemeinde in Hamburg zugewiesen. Danach stand er den Bezirken Stettin in Pommern und Dornum in Ostfriesland vor. Dann wurde 1898 der Bezirk Edewecht/Westerstede sein Arbeitsfeld. Von hier ging es 1904 weiter nach Hannover und ab 1909 nach Neuschoo in Ostfriesland, wo er mit der Gemeinde den 1. Weltkrieg erlebte. Von 1920 war er Prediger in seiner Heimatstadt. Ab 1924 folgte der Bezirk Bremen-Vegesack. 1929 sah er sich wegen seiner desolaten Gesundheit gezwungen, sich vorzeitig in den Ruhestand versetzen zu lassen. Trotzdem half er in den Gemeinden Braunschweig, Woltorf und Peine aus. Ab 1937 bewohnte er in Oldenburg ein eigenes Häuschen. Von dort aus leitete er vertretungsweise den Bezirk Neuschoo. Er fuhr regelmäßig mit dem Fahrrad dort hin und zurück – 100 Kilometer; immerhin war er schon siebzig Jahre alt! Eigentlich war er immer an der Arbeit. Er vertrat seine Predigerkollegen in Bremerhaven, Leer und Aurich. Auch bei den Baptisten half er aus.
Adolf Brands Tätigkeit auf dem Bezirk Edewecht/Westerstede fällt in eine Zeit, aus der uns kaum eigene Quellen zur Verfügung stehen. Umso erstaunlicher ist es, dass von der methodistischen amerikanischen Missionsgesellschaft in New York, die sich immer noch für Deutschland verantwortlich fühlte, für das Jahr 1902 eine kurze Zustandsbeschreibung überliefert ist: Edewecht. This is a very large circuit. There are eight places where the minister has to preach, and it is very hard for him to get to the different places. We have here some very faithful members. Six souls have been converted.
Ein über Jahrzehnte zu wenig beachtetes Problem brach in der Amtszeit von Prediger Brand auf. Es ging um die Frage der Zugehörigkeit der Predigtstationen zwischen Rhauderfehn/Leer und Edewecht/ Westerstede. Fast alle methodistischen Tätigkeiten in Ostfriesland gingen vom Edewechter Bezirk aus. Schon in den letzten 50er Jahren des 19. Jahrhunderts zogen ihre Prediger von hier aus beispielsweise nach Detern und Rhauderfehn. Oft entwickelten sich stabile Predigtstationen mit dem Potential, später einmal eine Gemeinde zu werden. Als Beispiel dafür kann Westrhauderfehn gelten. Diese Gemeinde musste später aus verschiedenen Gründen wieder aufgegeben werden. Die meisten verbliebenen Gemeindeglieder wurden jetzt vom Nachfolgebezirk Leer übernommen. Aber einige Mitglieder in den Predigtstationen „hingen in der Luft“. Für sie war Leer so weit entfernt wie Edewecht. Es ging vornehmlich um Südgeorgsfehn, Remels, Deternerlehe und Augustfehn. Die dort wohnenden Gemeindeglieder wurden dem Bezirk Westerstede bei seiner Gründung zugewiesen. Der Bezirk Westerstede existierte nur kurz, vor allem auch, weil diese neue Bezirkseinteilung von den Familien aus dem ostfriesischen Bereich nicht angenommen wurde. Nach der Auflösung des Bezirks Westerstede wurden dann dem Bezirk Leer 23 Mitglieder und 3 Probeglieder „per Federstrich“ zugewiesen. Es waren Mitglieder der Familien Lambertus, Bunger, Webermann, Janßen, Grüßing, Öllermann, Kramer aus Südgeorgsfehn, Buss und During aus Nordgeorgsfehn, Hartmann aus Detern, Mahlstedt aus Remels,Grüßing aus Deternerlehe und Hagemann und Grüßing aus Augustfehn.
Der destruktiv-nervige Prozess ging weiter. Auch der Bezirk Leer konnte mit diesen Predigtstationen nichts anfangen. 1904 schreibt der dort amtierende Prediger Keßler darüber in das Protokollbuch der „Vierteljährlichen Konferenzen des Bezirks Leer“ folgendes: „Südgeorgsfehn ist ein Hemmschuh für Leer, in jeder Weise.“ Bald danach heißt es resignierend: „Die Gremien des Bezirks Edewecht-Westerstede lehnen entschieden eine Annahme ab“. Danach muss die Jährliche Konferenz ein Machtwort gesprochen haben, denn kurze Zeit später gehörten fast alle Familien wieder zum Bezirk Edewecht/Westerstede. Es scheint so, dass für Einige dieses Hin und Her maßgeblich dazu beigetragen hat, sich örtlichen Gemeinden anderer Konfessionen anzuschließen. Auch die Auswanderung trug zur Ausdünnung der Gemeinden bei.
Zu Beginn der Amtszeit von Prediger Brand hatte die Gemeinde 123 Mitglieder, davon gehörten 46 dem früheren Bezirk Westerstede an. Dort gab es für den jungen Prediger Brand viel zu tun. Er fand schwach besuchte Versammlungen vor. Die Kirchenbücher wiesen eine geschönte Zahl der Probeglieder auf, die ein unrealistisches Bild der Gemeinde aufzeigten (manche wussten gar nicht, dass sie Probeglieder waren). Die Prediger der Jährlichen Konferenz drängten darauf, Westerstede wieder mit Edewecht zu vereinigen.
Es gab aber auch gute Nachrichten: Adolf Brand schreibt 1899: „Wir hatten ein gutes Jahr. Die Gemeinde zählt Glieder, an denen der Prediger seine Freude hat.“ Ein Jahr später berichtet er: „Unter den Gliedern herrscht ein guter Geist. Auch die Jugend macht sich gut“. 1901 fasst der Superintendent zusammen: „Dieses Arbeitsfeld ist weit ausgedehnt und schwer zu bedienen. Trotzdem ist Bruder Brand gern hier und hegt nicht im mindesten den Wunsch, bald versetzt zu werden“. 1902 heißt es: „Auf diesem Bezirk haben wir eine ganze Anzahl bewährter Glieder, die ein gutes Bekenntnis ablegen in Wort und Wandel. Doch dürften die jüngeren Leute, deren Zahl nicht unbedeutend ist, im Allgemeinen mehr Leben aus Gott haben. Der Bezirk mit seinen 8 Predigtplätzen ist nicht leicht zu bedienen, was schon daraus zu ersehen ist, dass der Aufsichtsprediger jeden Sonntag mit dem Rad 38 Kilometer zu fahren und dreimal zu predigen hat“.
Das Arbeitspensum macht sich bei Adolf Brands Gesundheitszustand bemerkbar. Ein volles Jahr kränkelte er und musste sich einschränken. In der Amtszeit von Prediger Brand wurden Reparaturen an der Kapelle in Edewecht vorgenommen. Auch die Schulden der Gemeinde Westerstede konnten erheblich abgetragen werden.
Adolf Brand heiratete 1898 Amalie Klüsner. Sie war die älteste Tochter des Pionierpredigers Franz Klüsner. Auch sie war viel kränklich. Zuletzt war sie, teilweise gelähmt, an das Bett gefesselt. Nach fünfzigjähriger Ehe starb sie 1948. Die Ehe war kinderlos. Adolf Brand heiratete daraufhin Amalies Schwester Rosalie, mit der er auch noch 16 Jahre den Ruhestand verbrachte. Sie war auch eine Pionierin, denn sie leitete während des ersten Weltkriegs in Neuschoo den Kirchenchor. Für die damalige Zeit war dies für eine Frau ungewöhnlich.
Seine letzten Lebensjahre verbrachte unser Gemeindeprediger Adolf Brand in Oldenburg und im methodistischen Altenheim in Bad Bramstedt. Seine Gesundheit machte ihm immer mehr zu schaffen. Schließlich war er fast taub. Er raffte sich immer wieder auf und so lange er konnte hielt er Gottesdienste und Bibelstunden.
Adolf Brand starb 1965 und wurde auf dem Friedhof in Oldenburg-Eversten beerdigt. Er war als ein mit goldenem Humor und einem kindlichen Gottvertrauen ausgestatteter freundlicher Herr bekannt, der ständig sein Schiefertäfelchen bei sich trug, um sich unterhalten zu können. „Gott hat uns zur Freude gerufen und nicht zum Weinen“, hob er in der Rede zu seinem 87. Lebensjahr hervor.
Noch lange erzählte man sich über ihn eine Geschichte: Er verspätete sich sehr bei einer Fahrradfahrt zu einer Predigtstation. Es war schon lange dunkel und alle waren schon zu Bett gegangen. Was sollte er tun? Er klopfte schließlich an ein Fenster und rief mehrmals laut „Hier ist Brand!“. Es brauchte eine Weile bis er begriff, weshalb ihm Leute entgegenliefen und schrien: „Wo, wo?“
1958 war Adolf Brand Gast beim 100 jährigen Gemeindejubiläum in Edewecht. Dabei entstand dieses Bild der ehemaligen Edewechter Pastoren.
von links: Johannes Eden, (dahinter NN), Adolf Brand, (dahinter Lini Kruse), Bischof Wunderlich, Waldemar Latendorf, dahinter Johann Schielzeth, Johannes Röhlig
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